Ich weiß ja nicht wie es euch ging, aber als ich gehört habe, dass das neue Far Cry Primal ein Steinzeit-Setting haben wird, habe ich mich gefreut wie ein Mammutschnitzel. Und zwar nicht wie eins von diesen riesigen panierten Dingern, die Jumbo Schreiner im Auftrag von Galileo auf Raststätten verputzt, sondern wie ein richtig haariges, notdürftig vom Fell befreiten Brocken Urzeitfleisch. Also gehörig.

Der zweite Impuls war dann aber eher Angst. So sehr ich mich auch darauf gefreut habe, mich in dieses unverbrauchte Setting zu stürzen (Ich bin nicht so der PC-Survival-Crafting-Guru), so viel Angst hatte ich auch davor, mich zu Unrecht zu hypen. Nach Far Cry 3 und 4, diversen Assassin’s Creeds und The Crew kam es zwischen mir und dem formelhaften Design der Ubisoft Titeln zu deutlich spürbaren Ermüdungserscheinungen.

Reden wir über Far Cry Primal – doch statt mühsam die Fakten herunter zu rattern, möchte ich euch meine Erlebnisse mit dem Spiel schildern: In drei Akten.

Akt 1: Ein Anfang wie gemalt

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An den Szenerien kann man sich kaum satt sehen

Der Anfang des Abenteuers verheißt Gutes. Man wird förmlich geblendet von der wirklich absolut, Entschuldigung, geilen Grafik und vielversprechenden Atmosphäre. Wenn man sich gemeinsam mit seinen Stammesbrüdern durch das hohe Gras schlängelt, auf der Suche nach einem kleineren Mammut, das wir mit unseren Speeren in Teamarbeit erlegen können, ist man sofort mittendrin im Geschehen. Dafür sorgen nicht zuletzt die tollen Gesichtsanimationen der Jagdgefährten, die mit mir in der eigens erdachten Wenja-Sprache kommunizieren. Diese klingt hart und wild und auch wenn sie mich zu permanentem Untertitellesen zwingt, ein tolles und mutiges Designelement – auf jeden Fall zu Beginn.

In der Gemeinschaft triumphieren wir über den majestätischen Gegner, nur um im Anschluss von einem Säbelzahntiger vom Rest von unserer Reisegruppe getrennt zu werden. Im Verlauf der ersten Stunde treffe ich außerdem eine ebenfalls einsame Sammlerin, die berichtet, dass hier im großen und gelobten Land Oros noch weitere Stammesmitglieder versprengt leben und dass es mein Schicksal ist, sie zu vereinen. Schließlich müssen wir uns vor den kannibalischen Udam und den brandschatzenden Izila schützen.

Außerdem treffe ich einen, sagen wir charismatischen Schamanen, der mich lehrt, wie ich meinen Geist mit der einer Eule verschmelzen lassen kann und habe eine abgefahrene Vision durch die Augen meines neuen tierischen Gefährten. Ekelgebräu sei Dank.

Und dann diese Welt! So einen schönen Urwald habe ich noch die durchwandert. Die Lichtstimmung gerade bei Sonnenauf- und untergang ist einfach nur atemberaubend, sodass ich meiner Konsole ein Leckerli zuwerfen möchte. Fein gemacht! Hier zeigt Ubisoft, das Potential der Current Gen und ich habe einfach nur irre Lust den Dschungel zu durchstreifen. In den ersten Minuten verfluche ich beinahe meine Jägersicht, die nahe Tiere und Pflanzen farblich hervorhebt den Rest aber eingraut. Schließlich kann ich mich kaum an der Vegetation satt sehen. Andererseits gibt es so viel zu sammeln und zu jagen, dass ich nicht anders kann und es macht einfach nur Spaß Holz zu sammeln und Tieren hinterher zu schleichen – wer weiß was ich aus den Materialien später alles craften kann? Ich treffe auf ein Rudel Wölfe, die zum Glück Angst vor meiner Keule haben, die ich mithilfe von Tierfett in eine lodernde Fackel verwandelt habe. Das ging ja gerade nochmal gut, denken ich mir, die hätten mit Sicherheit Hackfleisch aus mir gemacht.

Akt 2: Die Motivation kommt – die Zweifel ebenso

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Wir treten für unser Volk ein. Die Anderen sind schließlich die Bösen.

Nach den Anfängen beginnt das Looten& Leveln Prinzip voll zu wirken. Ich kann Far Cry-typisch meine gesamte Ausrüstung in mehreren Stufen aufrüsten wenn ich die richtigen Materialien besitze. Diese findet man durch das Abernten kleiner Bäume, Herunterreiben von Steinen, Pflücken von Pflanzen, Sammeln von Ton und natürlich Häuten von Tieren. Im „Midgame“ suche ich gezielt nach bestimmten Tierarten, um mein Equipment weiter zu perfektionieren und farme Ressourcen, die für den Ausbau unserer Siedlung nötig sind und entzünde hier und da ein Leuchtfeuer um Schnellreiseoptionen freizuschalten.

Denn das Volk der Wenja will wachsen und Spezialisten unseres Stammes, wie eine große Jägerin oder ein mächtiger Krieger sind irgendwo in Oros auf sich allein gestellt. Ich bin motiviert, diese unter einem Banner zu vereinen, schließlich schalten erst diese Experten bestimmte Zweige meines Talentbaumes frei und geben mir Zugang zu neuen Waffen wie dem Doppelbogen oder der Zweihandkeule.

Aber brauche ich diese neuen Fähigkeiten überhaupt? Mittlerweile hat die Fauna einiges an Schrecken eingebüßt und ich habe gelernt, dass ich das Wolfsrudel von Anfang an hätte niederknüppeln können, ohne dass diese mich umzingelt und überwältigt hätten. Tatsächlich bin ich in meiner Rolle als Takkar verdammt stark und so viel klüger als die Tiere um mich herum, dass es ein Wunder ist, dass die Evolution sie bis heute hat überleben lassen. Selbst ein Bär hat keine Chance gegen mich solange ich einen Bogen habe und die Schwächen der KI ausnutze. Schon jetzt fühle ich kaum noch eine Bedrohung von den Bestien ringsherum – Mammutherden ausgenommen. Außerdem bin ich enttäuscht vom Prozess des Tierezähmens. Man wirft einfach einen Köder, schleicht sich an das fressende Tier an, drückt einen Knopf und schon schnurrt der Säbelzahntiger und ist vollends zu Willen. Da zeigten sich die Wildpferde aus Red Dead Redemption deutlich wehrhafter und das waren keine 400kg Karnivoren.

Auch die Nebenaufgaben verlieren in alarmierender Geschwindigkeit an Charme. Ließ ich zu Beginn keine Chance aus irgendwie an Erfahrungspunkte zu kommen, lasse ich mittlerweile die zufällig generierten Wenja-Mission wie „Rettung eines Stammesbruders“, „Erschlage dieses Biest“ oder „Töte diese Feinde“ links liegen. Stattdessen stehe ich lieber staunend vor einem Wasserfall, erklimme steile Felswände um die Aussicht zu genießen oder stehe auf einer Lichtung, die gerade in Sonnenlicht getaucht wird. Atemberaubend. Um die gelegentlich schnappenden Rothunde kümmert sich der zahme Stubentiger mit den riesigen Reißzähnen. Menschlich
e Gegner aus den konkurrierenden Stämmen erlegen wir bevorzugt aus der Deckung mithilfe der brutalen und rohen Takedowns. Das rumst.

Akt 3: Die Welt verwandelt sich in einen Michael Bay-Film

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Mit dem Doppelbogen machen wir gehörigen Schaden

Doch bevor ich nun in eine primitive Rage verfalle: Ich hatte Spaß mit Far Cry Primal. Ich bin aber dennoch enttäuscht. Wie ein Lehrer, der ein hochbegabtes Kind in der Klasse hat, das sich seinen Weg verbaut in dem es ständig falsche Entscheidungen trifft und stinkfaul ist. Soviel brachliegendes Potential macht einen einfach fuchsig! Fallout 4 hatte zum Beispiel auch seine Schwächen, die nach 60 Spielstunden immer mehr hervorstachen. Bei Far Cry Primal bröckelt das Make Up aber bereit nach einem Zehntel der Zeit.

Es sind 10 Stunden vergangen und mittlerweile ist Takkar beinahe unbezwingbar und nutzt nur noch einen Bruchteil seines Arsenals. Ich verfluche mich dafür, nicht von Anfang an auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad gespielt zu haben. Zwar würde ich mich definitiv nicht als begnadeten Zocker bezeichnen, aber „Normal“ ist unterfordernd. Wenn ich nun einen gegnerischen Stützpunkt angreife, lasse ich nicht mehr die Eule einen Erkundungsflug drehen und überlege mir wie ich die Sache am besten angehe. Nein. Ich renne einfach durch die Vordertür, spieße Alles und Jeden mit meinem Speer auf indem ich stur R2 mashe und lasse meinen legendären Säbelzahntiger den Rest erledigen. Fertig.

Das liegt aber mitnichten daran, dass ich überlevelt bin. Dieses Vorgehen hätte wohl von Anfang an zum Erfolg gefühlt. Mittlerweile ist die steinzeitliche Fassade gefallen und ich sehe nur noch „das aktuelle Ubisoft-Spiel“ dem man einen urzeitlichen Anstrich verpasst hat, ohne das Gameplay so anzupassen, dass es auf das Setting verpasst.

3.1 Ein Shooter ohne Waffen

Es hat schon einen Grund, warum ihr den meisten Spaß in Primal mit eurem Bogen oder eurem Wurfspeer haben werdet. Far Crys Gameplay lebte seit jeher vom Gunplay. In einer Welt ohne Knarren, hat Ubisoft sich in eine Sackgasse manövriert. Es hätte einen Ausweg gegeben, aber man war verdammt nochmal zu faul zu klettern! Die Lösung wäre gewesen, das Nahkampfsystem zu überarbeiten. Stattdessen fühlen sich die Nahkämpfe fast genauso an wie in jedem Call of Duty. Wenn wir nicht gerade Takedowns oder einen aufgeladenen Schlag mit der schweren Zweihandkeule vollführen, haben wir kaum Trefferfeedback und fühlen uns eher als würden wir den Feind zu Tode stupsen. Nicht falsch verstehen: Ich finde das vergleichsweise limitierte Arsenal an Waffen toll und sie passen auch gut ins Setting. Es wäre nur prima, wenn es auch Spaß machen würde sie alle zu benutzen. Aber gut. In Far Cry 4 habe ich auch immer am liebsten mit dem Bogen geschossen.

3.2 Ich bin kein Beastmaster, ich bin Großwildjäger

Dieser Kritikpunkt ist ein ganz wesentlicher für mich, denn sobald sich ein bestimmter Gedanke in meinem Kopf formiert hatte, konnte ich die Welt nicht mehr so genießen wie vorher. In der Geschichte soll Takkar jemand sein, der eine Bindung mit den Tieren eingeht, sie versteht und deswegen gemeinsam mit ihnen losziehen kann. In der Praxis wird diese Storyidee von der Praxis aber torpediert. Nicht nur ist der Akt des Zähmens viel zu ideenlos implementiert. Viel schwerer wiegt für mich, dass ich die Natur so rücksichtslos ausbeute, dass sich selbst BP verschämt wegdrehen würde. Wir hinterlassen eine Schneise der Zerstörung im Urwald. Schmeißen mit Feuerbomben umher, töten jedes Tier um einen Vorrat an Fellen zu haben, falls wir für irgendeinen Köderbeutel doch noch mal die Haut eines Berglöwen brauchen und jedes seltene Tier wird schon einmal grundsätzlich umgelegt weil uns das Spiel dafür früher oder später belohnen wird. Jetzt bin ich beileibe kein Weltverbesserer, der PETA in der virtuellen Steinzeit neu errichten möchte. Wenn keiner hinguckt, werf ich mir auch privat mal ein Wiesenhofschnitzel in die Pfanne. Aber Far Cry Primal möchte mir einen Protagonisten verkaufen, der noch im Einklang mit Mutter Erde lebt. De facto vergewaltigen wir sie aber munter. Gerade in so einer grafisch opulenten Welt hätte es nur ein paar Anpassungen an der üblichen Ubisoftformel gebraucht, um sich als Teil von ihr zu fühlen und nicht als Parasit. Klar, Jagen war lebensnotwendig, habe ich Nichts dagegen. Aber in der ersten Spielstunde betrauern wir noch selbst den Geist eines Raubtieres, das wir leider umbringen mussten um uns selbst zu retten. Und bald darauf knallen wir ein paar Mammuts ab, weil die Alde ausm Dorf ganz gern Stoßzähne als Hüttenverzierung benutzt.

3.3 Es gibt zu viel von Allem

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Die Beziehung Mensch – Tier könnte so schön sein…

Man stumpft irre schnell ab. Die erste Begegnung mit einem Wolfsrudel ist aufregend und beängstigend. Das hält aber nur solange an bis man merkt, dass die Viecher einfach überall sind. Selbst Säbelzahntiger verlieren ihre Magie wenn sie keine Bedrohung mehr sind und ständig auftauchen. Far Cry Primal ist zu viel Hollywood und zu wenig Steinzeit. Überall wird ständig etwas Neues generiert und man kann gefühlt keine 50 Meter laufen, ohne über eine neue Nebenquest oder ein Sammelobjekt zu stolpern. Die letzten zwei Spielstunden bin ich nur noch auf dem Rücken meines Tigers umhergeprescht und wenn mir angezeigt wurde, dass zum dreißigsten Mal eine meiner Stammesangehörigen entführt wurde und das nur wenige Meter Meter westlich, könnt ihr euren Lendenschurz darauf verwetten, dass ich keinen Umweg geritten bin. Been there, done that. Auch die Ressourcen sind nur zu Beginn Mangelware und wenn sie zur Neige gehen, werden sie ja alle auf der Minimap angezeigt (warum habe ich in der Steinzeit nochmal GPS?) und ich farme sie kurz ab.

3.4 Die Geschichte und das Missionsdesign von Far Cry Primal

Ich möchte Ubisoft noch einmal ausdrücklich dafür loben, dass man sich mit der Wenja-Sprache eine solche Mühe gegeben hat. Chapeau! Aber (natürlich gibt es in dieser Sektion des Tests ein Aber) dadurch, dass man Charaktere vor sich hat, die dazu gezwungen sind sich in wenigen Worten auszudrücken, hätte man schon eine richtig gute Story zusammenschustern müssen oder starke Protagonisten, die viel ausdrücken und dabei wenig sagen. Far Cry Primal hatte für mich weder das Eine noch das Andere. Wir schauen in den Zwischensequenzen immer unseren Gegenüber aus der Ego-Perspektive an, der wie es scheint, eine Ein-Mann-Bühnenshow inszeniert, zu der unser Charakter Ja und Amen sagt, ohne dass wir, wie noch in Far Cry 4, eigene Entscheidungen treffen können. Und irgendwie wird aus dem anfänglichen, nachvollziehbaren Wunsch unser eigenes Volk zu retten, Genozid an den anderen beiden Stämmen. Warum nochmal? Um unser Dorf zu schützen? Hm.. Da fehlen mir doch die starken Antagonisten aus den Vorgängern. Klar könnte man sagen, dass man in der Steinzeit eher simplere Charaktere und Wesen portraitieren wollte. Aber dann muss man auch den Weg zuende gehen und die Missionen ent
sprechend anpassen. Dann reicht es eben nicht, nur Außenposten zu säubern. Dann will ich auch meinen Stamm koordinieren und nicht als Ein-Mann-Armee durch die Reihen der Gegner schneiden.

Fazit

Far Cry Primal ist leider kein Steinzeitspiel, das zufällig von Ubisoft gemacht wurde. Es ist das nächste Ubisoftspiel, das jetzt in der Steinzeit spielt. Nachdem ich Far Cry in etwa 15 Stunden durchgespielt habe, überwiegt deutlich der Eindruck, dass Ubisoft in erster Linie sich selbst zitiert. Und das ist frustrierend, denn das Spiel hat tolle Anlagen: Eine absolut spitzenmäßige Optik, eine wunderschön designte Welt, authentisch sprechende Akteure und gut funktionierende Belohnungsmechanismen durch das Crafting und den Talentbaum.

Wer in der Vergangenheit aber schon ein Far Cry (oder auch Assassin’s Creed) gespielt hat, nagt das neue Fleisch sehr schnell ab und darunter kommt das Selbe Gameplay-Skelett zum Vorschein wie immer. Die Verpackung ist der Wahnsinn, aber den Inhalt brauche ich nicht mehr. Und da könnte ich aufschreien vor Wut. Denn irgendwann kommt man dahinter, dass die Spielmechanik nicht so recht in die prächtige Welt passen will und diese irgendwann kannibalisiert. Nahkampffokussierung macht keinen Spaß ohne das entsprechende Kampfsystem. Die Rolle als Tierversteher funktioniert nicht, wenn ich ständig ohne Not Vierbeiner umnieten muss. Und warum brauch ich einen starken Stamm wenn ich ohnehin im Alleingang irgendwelche Stützpunkte erobern muss? Die Bezeichnung „Far Cry“ sollte ein Anker für Primal sein, wird aber am Ende von ihr heruntergezogen.

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