War of the Chosen: Das neue XCOM 2

Würde ich auf eine einsame Insel verfrachtet werden, mit nichts weiter als einem Spiel, einem Laptop und unendlich viel Strom, ich würde mich wohl eingehend mit dem Firaxis Line-Up beschäftigen. Allein Civilization 5&6 haben mich in den vergangenen Jahren Hunderte Stunden unterhalten. Das liegt unter anderem auch an der Add-On Politik von Firaxis. Statt mickrigen Zusatzkarten oder neuen Fraktionen, bekam man bei Civilization neue Spielmechaniken und eine renovierte Fassung des Hauptspiels serviert. Diesen Trend setzt man mit XCOM 2: War of the Chosen fort.

Die zusätzlichen Inhalte beschränken sich nicht auf isolierte Missionen oder ein New Game Plus, sondern werden in die Kampagne des Spiels eingeflochten. Die Geschichte bleibt also in groben Zügen die gleiche, wird jedoch mit neuen Filmszenen, Geschehnissen, Missionstypen, Forschungen, Einstellungsmöglichkeiten und Gameplay-Elementen angereichert.  So beginnt das Spiel wie gewohnt, weicht aber bereits nach der 2. Mission vom bekannten Pfad ab, wenn sich eine der drei neuen Widerstandsgruppen bei der Avenger meldet.

Ist das noch War of the Chosen oder schon Destiny 2?

Reinforcements have arrived!

Denn statt den gesichtslosen Rebellen aus dem Hauptspiel, finden sich in War of the Chosen nun drei Fraktionen an, mit denen wir uns verbünden können. Jede Fraktion unterstützt uns im Kampf mit je einem neuen Soldatentypus, die unsere strategische Palette um ein gutes Stück erweitern: Die Templer sind begnadete Psioniker, manipulieren die Gegner und teilen ihrerseits einiges an Zerstörung aus. Die Scharmützler sind desertierte Aliens, die ihren enorm praktischen Enterhaken nutzen, um schnell Höhenunterschiede zu überwinden, oder den guten alten „Get over here!“-Move benutzen, um einen Feind an sich heran zu ziehen. Schlussendlich wären da noch die Schnitter. Diese sind Meister der Heimlichkeit, die auch dann noch unentdeckt bleiben, wenn der Rest der Teams schon enttarnt wurde. Gleichzeitig sind sie Sprengstoffexperten, die Landminen werfen können, die mit einem Schuss aktiviert werden – zudem sprengen sie jedes Fahrzeug mit nur einem Schuss.

Doch auch neben dem Schlachtfeld machen sich die neuen Verbündeten bezahlt. In speziellen Missionen können wir unser Ansehen bei den Fraktionen steigern, die uns im Gegenzug mit praktischen Perks belohnen (z.B. Zusatzrunden in Missionen mit Rundenbegrenzung). Oder wir schicken gerade nicht aktive Soldaten auf verdeckte Operationen. Nach einer bestimmten Rundenanzahl kehren die Truppen siegreich zurück und bescheren uns weitere Belohnungen wie neues Personal, Ressourcen oder etwas mehr Ruhe vor dem bedrohlichen Avatar-Projekt.

Eine neue Macht erhebt sich

Damit das Kraftgleichgewicht zwischen XCOM und ADVENT nicht außer Balance gerät, haben auch die Aliens mächtige Verbündete hinzugewonnen. Die „Chosen“, die namensgebenden Auserwählten, treten euch mit drei mächtigen Heldeneinheiten gegenüber und sind die wohl größte Neuerung des Add-Ons. Sie haben die lästige Angewohnheit scheinbar zufällig in eure laufenden Missionen hineinzuspazieren und dessen Schwierigkeit damit in die Höhe zu schrauben. Neben ihren individuell unterschiedlichen, aber in jedem Falle mächtigen Fähigkeiten, glänzen sie mit Unsterblichkeit und ihrem Lernvermögen.  Zu allem Überfluss versuchen sie im Kampf unsere Soldaten zu betäuben oder sogar zu entführen, was eine anschließende Rettungsmission nötig werden lässt.

Die namensgebenden Auserwählten sind auf den höheren Schwierigkeitsgraden steinharte Nüsse.

Die Auserwählten zwingen uns, inmitten eines Kampfes plötzlich umzudisponieren, Stellungen zu verlassen und uns neu zu formieren, um unser Feuer konzentrieren zu können. Jedoch kehren sie über kurz oder lang mit neuen Tricks und Fertigkeiten zurück, agieren sowohl in den Kämpfen als auch auf der Weltkarte wo sie bestimmte Gebiete beeinflussen und Debuffs verursachen, und haben sogar ihrerseits die Möglichkeit unser Schiff, die Avenger, anzugreifen.

Neben den Auserwählten hat ADVENT für War of the Chosen auch sein Fußvolk aufgestockt. Beispielsweise wären da die Truppen mit furchterregendem Flammenwerfer, der zu allem Überfluss explodiert, wenn seine Hitpoints auf 0 gehen. Das ist nicht nur doof für unsere Ranger, die sich eventuell in Nahkampfreichweite befinden, sondern macht zudem ein mächtig lautes Geräusch…

Dieses ruft einen anderen neuen Gegnertypen auf den Plan: Die Verlorenen. Im Dienste der Verbildlichung können wir sie auch „Zombies“ nennen. Sie greifen sowohl Feind als auch Freund an, werden von lauten Geräuschen angelockt, treten stets in großer Zahl auf und stecken wenig ein. Firaxis spendiert den Verlorenen jedoch auch eine Eigenschaft, die XCOM zugutekommt: Wann immer eine unserer Einheiten einen Verlorenen ausschaltet, erhält dieser eine weitere Aktion. Theoretisch kann es also von Vorteil sein eine Einheit aus der Deckung aufs offene Feld zu ziehen, um sie dort unter den Zombies aufräumen zu lassen, Magazine leer zu schießen und sich anschließend wieder in Deckung zu begeben – vorausgesetzt wir schießen nicht daneben und werden von den Horden überrannt.

Gemeinsam stärker

Die Psychologie der eigenen Einheiten wird in War of the Chosen betont. Soldaten, die miterleben mussten, wie das eigene Team von den „Zombies“ zerfleischt wurde, können Traumata entwickeln oder Panikstörungen, die auf dem Schlachtfeld negative Auswirkungen haben können. Zudem macht sich Erschöpfung im Squad breit, wenn wir immer wieder die gleichen Einheiten an die Front schicken. Wenn wir es übertreiben, hören unsere Männer (oder Frauen) nicht mehr auf uns, oder schießen in Panik um sich, statt sich wie befohlen zu verschanzen.

„Get over here!“, was Scorpio kann, können die Truppen des Commanders schon lange!

Im Gegenzug geht die Erweiterung großzügiger mit Erfahrungspunkten um. Wenn es uns gelingt den Gegner in die Seite zu fallen, oder von erhöhter Position aus zu schießen, werden wir mit XP belohnt. Nicht nur bei Kills. Multipliziert werden die Erfahrungspunkte vom Intellekt der Soldaten. Streiter mit hohen Intelligenzwerten lernen schneller dazu als ihre eher tumben Kollegen.

In einem Squad ist jedoch nicht nur Köpfchen entscheidend. Zwischen Soldaten eines Teams können sich im Laufe der Einsätze jetzt freundschaftliche Bande entwickeln, von denen wir in der Schlacht profitieren. So greifen befreundete Soldaten stärker gemeinsam an oder können sich gegenseitig Aktionen zuschustern. Überflüssig zu sagen, dass der Schmerz eines Soldaten umso schwerer wiegt, wenn ein guter Freund das Zeitliche segnet.

Fazit:

Irgendwie ein zweischneidiges Schwert, dieses War of the Chosen. Zu Beginn fühlt es sich an, als würde man quasi „gezwungen“ XCOM 2 noch einmal durchzuspielen. Und für ein nicht Stand Alone Add-On bleiben 40 Euro ein gesalzener Preis. An der teilweise fragwürdigen Technik in der Konsolenfassung hat sich wenig geändert. Die Performance fällt selbst auf der PS4 Pro teils rapide weit unter die 30 fps und die Ladezeiten sind frustrierend lang.

Jedoch bereits nach der zweiten Mission fangen die Neuerungen – und davon gibt es im Kleinen und Großen wirklich reichlich – an zu greifen und verändern das Spielgefühl doch so stark, dass wir das Projekt XCOM 2 liebend gern noch einmal angehen. Die neuen Einheiten machen viel Spaß und erweitern unser strategisches Portfolio sinnvoll und organisch. Die Schnitter sorgen für mehr Bumms auf dem Schlachtfeld, die Zombiehorden für weniger Statik, die Freundschaften der Soldaten untereinander für mehr Bindung, und die Auserwählten für ein hohes Maß an Unberechenbarkeit.

Wenn ihr mit XCOM 2 Spaß hattet, könnt ihr trotz des verhältnismäßig hohen Preises bedenkenlos zugreifen: Die Neuerungen und der damit verbundene Spielspaß wird den Kaufpreis für euch wahrscheinlich rechtfertigen.

Solltet ihr das Hauptspiel jedoch nicht gespielt haben oder ward damit ein wenig überfordert, ist War of the Chosen nichts für euch, da es sowohl auf der Strategiekarte als auch in den Gefechten überall eine Schippe drauflegt und euch eine ordentliche To-do-Liste vor den Commander-Latz knallt.

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