Schon bald ein Jahr ist es her, dass ich mich im Early Access in der Freudenfeste herumgetrieben habe. Und auch jetzt freue ich mich sehr auf einen erneuten Besuch – ganz im Gegensatz zu den spielbaren Charakteren …

Diese sind nämlich allesamt sogenannte Quellmagier, die unter Verdacht stehen die Voidwoken, zu  Deutsch „Leerenerwachte“, herbeizubeschwören. Leerenerwachte sind Monster, die die Weltbewohner heimsuchen und tyrannisieren, weshalb die Magister nun versuchen alle Quellmagier aus dem Verkehr zu ziehen. Als Gefangener auf einem Schiff mit weiteren Leidensgenossen startet unsere Reise somit in die Isolationshaft nach Fort Joy, doch schon während der Überfahrt geht alles schief. Ein Quellmagier wird ermordet, eine Hexe droht das gesamte Schiff zu versenken und dann greift uns auch noch ein riesiges Monster an – na toll. Noch dazu können wir – natürlich – unsere Quellmagie nicht einsetzen, da diese durch ein ominöses Halsband versiegelt wurde. Lange Rede kurzer Sinn – das Schiff geht unter und reißt uns mit in die Tiefe, doch wie durch ein Wunder ertrinken wir nicht, sondern stranden an den Ufern von Fort Joy, wo wir schon nach kurzer Zeit Zeuge von wahnsinnigen Gräueltaten, die die Magister initiieren, werden. Unser vorrangiges Ziel ist also, so schnell es geht von der Insel zu fliehen und wenn möglich noch das nervige Hundehalsband loszuwerden.

Eine Frage des Charakters

Der Charaktereditor in Divinity lässt sich nicht lumpen. Schon bei der Wahl des Protagonisten kann man Stunden vor dem Bildschirm verbringen. Neben Menschen, Echsen und Elfen, die bereits im Early Access spielbar waren, gesellen sich nun noch zwei weitere Rassen hinzu; die Zwerge und die Untoten. Passend dazu wurden auch die Helden samt Hintergrundgeschichte um zwei erweitert: Biest, ein rebellischer Zwerg und der Untote Fane. Zusammen mit Ifan und Lohse, beides Menschen, Sebille der Elfin und dem Roten Prinzen stehen uns also sechs Helden zur Auswahl. Jeder Held wird mit einer eigenen Zwischensequenz geliefert, die uns seine Geschichte und seinen Charakter etwas näher erläutern. Wer sich dennoch mit keinem von ihnen anfreunden kann, darf auch einen ganz eigenen Charakter erstellen. Sowohl bei eigenen Charakteren, als auch bei den Helden sind die Anpassungsmöglichkeiten enorm. Zahlreiche Körpermerkmale wie Gesicht, Haarfarbe oder Frisur lassen sich nach Gutdünken verändern. Einzig die Stimme der Helden ist unveränderbar. Sind die Oberflächlichkeiten abgehakt, können wir uns um die wirklich wichtigen Dinge kümmern, unserer Charakterklasse. Auch hier bleiben keine Wünsche offen, es sind sowohl Magier, Kämpfer und waldläuferähnliche Klassen, Nekromanten und Heiler wie auch Zwischenformen á la Kampfmagier vertreten. Im wahrsten Sinne des Wortes die Qual der Wahl, denn jede Klasse hat so ihre Reize. Ach und dann wären da noch die diversen Startangriffe und die zu verteilenden Attributspunkte …

Haben wir uns also nach Stunden genauestem Feinschliff für einen Charakter unserer Wahl – und nicht zu vergessen den passenden Schwierigkeitsgrad – entschieden, können wir uns endlich ins Kampfgetümmel stürzen. Da sind wir also, schiffsbrüchig, ganz allein, verloren und überall wimmelt es von Feinden. Besser wir machen uns auf die Socken, ein paar Gefährten zu finden, denn auf uns allein gestellt werden wir anstehende Kämpfe nur schwer meistern können. Die Helden, die wir selbst nicht spielen, sind in Fort Joy verteilt und kämpfen mit ihren eigenen Problemen. Trotzdem schließen sie sich uns nach einem netten Gespräch oder einem kurzen Kämpfchen gerne an, da sie alle das Ziel haben, aus der Festung zu entkommen. Bis zu drei Begleiter können wir in unser Team aufnehmen, wollen wir jemand anderen, so müssen wir dafür ein Teammitglied zumindest vorerst zurücklassen. Spielen wir im Multiplayermodus, so können wir auch zu viert das Abenteuer bestreiten.

Jederzeit können wir mit unseren Mitstreitern plauschen, um deren Sympathie zu gewinnen, aber Vorsicht, die Sache kann auch nach hinten losgehen. Teilt ein Charakter unsere Meinung nicht oder ist mit unseren Aktionen nicht einverstanden, so wird er früher oder später die Gruppe verlassen. Es gilt also, unsere Gefährten stets bei Laune zu halten. Dies ist gar nicht mal so einfach, denn auch mit dem besten Fingerspitzengefühl kann man manchmal nicht herausfinden, ob der Charakter nun religiös ist oder lieber Rock anstatt Klassische Musik hört. Im Zweifelsfall sollten wir lieber einmal öfters abspeichern, als zu wenig.

Auch mit allen anderen Charakteren in der Welt ist der Dialog ein Hauptbestandteil des Spiels. Hier zählen nicht nur unsere zielgerichteten Antworten, sondern auch noch unsere Rasse, unsere Fähigkeiten und deren momentaner Wert, sowie die Eigenschaften des Charakters selbst. Manche Bewohner haben beispielsweise einen Hass auf die Rasse der Echsen, während wieder anderen Untote mehr als suspekt sind. Diese Gesprächspartner verweigern dann den Dialog mit dem jeweiligen Teammitglied, oder aber verhalten sich ihm gegenüber aggressiver. Also lieber mal Ifan vorschicken, um die Lage wieder zu deeskalieren. Dieses Abwägen und richtig Antworten macht meistens sehr viel Spaß, auch wenn es mal gehörig schief läuft und wir uns in einem Kampf befinden, der hätte vermieden werden können. Aber genau das ist die größte Stärke von Divinity: Alles kann, nichts muss. Die Quests lassen uns einen großen Spielraum. Versuchen wir den hinterhältigen Banditen nun durch reden zu besänftigen, ihm Waren zu besorgen oder ihm den Schädel einzuschlagen, das bleibt größtenteils uns überlassen – und diese Freiheit fühlt sich toll an.

Vermeiden sollten wir es außerdem Dinge zu stehlen oder kaputtzumachen, die uns nicht gehören. Klicken wir dennoch – so ganz aus Versehen – einen der Gegenstände an, erwartet uns im besten Fall eine gehörige Standpauke mit Sympathieverlust, im schlechtesten ein Angriff. Charaktere, die uns nicht mögen könnten aber manchmal auch mit dem ein oder anderen Geschenk wieder besser auf uns zu sprechen sein. Die Gegenstände, die wir beim Aufheben stehlen würden, sind im Normalfall aber rot markiert und daher gut zu erkennen. Alles, was nicht Niet- und Nagelfest ist und einen weißen Schriftzug trägt dürfen wir hingegen getrost in unsere Taschen packen. Nicht alles ist nützlich oder sinnvoll, aber man weiß ja nie, was man noch gebrauchen kann. Unendlich viele Dinge können wir dann aber doch nicht mit uns herumtragen, da unsere Protagonisten ab einem bestimmten Gewicht gehörig an Bewegungsfreiheit und -geschwindigkeit einbüßen.

Immer schön der Reihe nach

Die Schlachten selbst gehen rundenbasiert vonstatten. Schön geordnet und gut überlegt manövrieren wir unsere Schützlinge übers Feld, suchen Deckung oder die perfekte Angriffsstellung um den Kampf zu unseren Gunsten zu entscheiden. Dabei entscheiden die Aktionspunkte darüber, in welchem Radius wir uns bewegen  und wie viele Angriffe bei einem Zug ausgeführt werden können. Je nach Agilitätswert wird entschieden wann, wer und wie oft derjenige dran ist.

Neben der Lebensanzeige besitzen sowohl unser Team als auch die Gegner zwei Rüstungswerte, einen gegen magische Angriffe, einen gegen physische. Erst wenn diese Werte auf null sinken, geht es uns an die Substanz. Taktisch ratsam ist es also, wenn wir einen Gegner nur mit Magie malträtieren, während der andere die physischen Angriffe abbekommt. So müssen zumindest nicht erst beide Rüstungswerte beseitigt werden.

Neben normalen Fern- und Nahkampfangriffen hat jeder Charakter eigene Fertigkeiten. Der rote Prinz beispielsweise kann mit seinem Feueratem eine ganze Reihe an Feinden niederbrennen. Die restlichen Fertigkeiten durch eure Klassenwahl bestimmt werden. Außerdem können verschiedene Angriffe auch durch Bücher erlernt werden, die wir diversen Händlern abkaufen oder in der Spielwelt finden.

Des Weiteren spielt auch die Umgebung eine größere Rolle in den Kämpfen. Zahlreiche Statuseffekte machen die Schlachten interessanter. Wir können Feinde verkrüppeln, in Brand stecken oder schockieren, sowie mit Regen brennende Verbündete löschen oder aber noch mehr Öl ins Feuer kippen. Selbst Blutlachen können angezündet, unter Strom gesetzt oder in eine Giftfalle verwandelt werden. Aber Vorsicht – diese Effekte beeinflussen selbstverständlich nicht nur unsere Feinde …

Charaktereigenschaften und Fertigkeiten werden in einem komplexen Menü erweitert. Die jeweiligen Attributspunkte dafür erhalten wir für Levelanstiege, Erfahrungspunkte durch Kämpfe und Erkundung. Aufmerksame Entdecker finden in Divinity: Original Sin II außerdem Unmengen an Rüstungsgegenständen, mit denen Werte zusätzlich gepusht werden können. Auch zivile Eigenschaften wie etwa mit Tieren reden zu können oder Schlösser knacken sollten nicht vernachlässigt werden. Es ist daher ratsam, bestimmte Charaktere in eine Richtung zu lenken, da ein Gruppenmitglied, das beispielsweise gut stehlen kann, durchaus ausreichend ist. Dafür ist der Nächste wieder stärker und kann die schwersten Sargdeckel anheben.

Technisch gibt es auch nix zu bemängeln. Die riesige Welt wird farbenfroh und lebendig präsentiert, der stets stimmige Soundtrack und die hervorragende Synchro aller Charaktere, sowohl die der Protagonisten, der NPCs, der Tiere und nicht zuletzt dem Erzähler lassen keinerlei Wünsche übrig. Hübsche Artworks der Charaktere und detailreich gezeichnete Zwischensequenzen setzen dem ganzen noch ein Sahnehäubchen auf.

Fazit:

Ich bin nach wie vor begeistert von Divinity: Original Sin 2, seiner düsteren Geschichte und seinen eigensinnigen Bewohnern. Ein MUSS für jeden Rollenspielfan, das wohl beste CRPG seit langer, langer Zeit. Divinity II bietet unglaublich viel Freiheit sowohl in der Charakterentwicklung, wie auch im eigenen Spielstil, verliert sein Ziel aber dennoch nie aus den Augen. Ein gut ausgereiftes Kampfsystem, hübsche Grafiken gepaart mit stimmigen Soundtracks und stets unterhaltsamen Gesprächen der wirklich interessanten Charaktere – was will man mehr?

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