Das Jahr 2017 ist bislang gut zu mir. Nachdem wir in unserem Podcast bereits feststellten, dass das erste Quartal nur so von Perlen strotzt, muss ich auch ganz persönlich noch einmal meinen Hut ziehen. Hätte mein 10jähriges Ich Spieleideen pitchen dürfen, wären unter seinen Top 10 garantiert vertreten gewesen: Ein Spiel, in dem sich Wikinger, Ritter und Samurai die Helme einbeulen. Und unter den ersten Drei: Irgendwas mit Roboter-Dinos. Oder wie Guerilla Games es nennt: Horizon: Zero Dawn.

Horizon: Back to the roots

Freilich schmückt Guerilla das Konzept etwas besser aus als Ole Jr. es tat: In einer fernen Zukunft hat die Natur den Planeten zurückerobert. Während dies in anderen postapokalyptischen Spielen wie The Last of US dadurch ausgedrückt wird, dass Hochhäuser jetzt mit Kletterpflanzen bewachsen sind und Giraffen durch die Innenstadt stromern, ist der Feldzug der Natur gegen die Zeichen menschlicher Zivilisation in Horizon: Zero Dawn weiter fortgeschritten: Der Homo sapiens ist im Großen und Ganzen auf den technologischen Stand der Steinzeit zurückgefallen und wieder in Stämmen organisiert. Aus Städten, Straßen, Parkplätzen und Supermärkten wurde ein einziges Landschaftsidyll. Die Harmonie wäre perfekt, wenn es da nicht die Maschinen gäbe, die mehr oder weniger aggressiv durch die Landschaft streiten und den Menschen ihre Stellung an der Spitze der Nahrungskette streitig machen wollen.

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Aus der Synthese von steinzeitlicher Stimmung und hochtechnisierten Elementen ergibt sich eine bisher einzigartige Mischung, die Horizon: Zero Dawn ein ganz eigenes Look and Feel gibt. Zwar sind die Menschen in Stämmen organisiert und jagen mit Pfeil und Bogen. Dennoch sprechen sie perfektes Englisch (bzw. Deutsch) und sind im soziologischen Sinne zivilisiert. Dazu kommen die High-Tech Maschinenwesen und die verborgenen Stätten der alten, mechanisierten Welt, die wir hie und da entdecken. Diese Mischung muss nicht funktioniert und birgt die Gefahr, völlig in die Hose zu gehen. Hotizon: Zero Dawn verwebt die Elemente jedoch zu einer spannenden Mischung, reizt uns mit der Geschichte, wie dieses anachronistische Setting entstehen konnte und hat so einen ganz persönlichen, unverwechselbaren Charme.

The Queen of the Stone Age goes Metal

Inmitten dieses komplizierten Universums lernen wir dem Krieger Rost kennen. Ausgestoßen vom Stamm der Nora zieht er die kleine Aloy groß und ist ihre einzige Bezugsperson – denn schon das Sprechen mit Ausgestoßenen ist ein Tabu. In der Rolle des vielleicht 8jähirgen Mädchens bringt uns Ziehvater Rost die ersten Lektionen des Jagens bei: Jagen mit Pfeil und Bogen, Heranpirschen und der Gebrauch von Heilpflanzen. Zusätzlich erbeuten wir bei einem unfreiwilligen Abstecher in einen alten Bunker der untergegangenen Metallwelt den sogenannten Fokus. Diesen kann man sich ein wenig so vorstellen wie den Scouter aus Dragonball Z: Er liefert uns Informationen über die Umgebung, die Gegner und kleinere Rätsel.

Nach einer Begegnung mit ein paar Stammesmitgliedern ist für Aloy klar, dass sie den Ritus der Erprobung ablegen möchte. Denn nur so kann sie wieder in den Stamm aufgenommen werden und das größte Rätsel ihrer Kindheit lüften: Wer ist ihre Mutter? Und warum wurde sie bereits als Neugeborenes vom Stamm verbannt?

Schon als kleiner Stöpsel ist Aloy mit Pfeil und Bogen bewandert

Der Einstieg in Horizon: Zero Dawn mag für Manche ein bisschen zu lang gestaltet sein. Versprachen uns die Trailer Bombast und das Fällen gigantischer Robosaurier sollen wir jetzt als Kind umherstöpseln und schleichen lernen? Es ist Geschmacksache ob man in einem Open World Titel sofort in die Sandbox entlassen werden möchte, um sofort frei seine eigene Geschichte zu schreiben. Oder ob man den Weg von Horizon bevorzugt, das uns zunächst die Protagonistin und die Welt vorstellt, bevor es uns von der Leine lässt. Nach der Masse an Open World Spielen der letzten Jahre ziehe ich persönlich jedenfalls den storygetriebenen Ansatz vor, doch auch ich muss zugeben, dass Zero Dawn ein bisschen Zeit brauch, um in Wallung zu kommen.

Die Welt öffnet sich

Spätestens jedoch nach der Rocky-esquen Trainingsmontage der mittlerweile erwachsenen Aloy, den Ereignissen beim Ritus der Erprobung und der Ankunft in des Sonnenkönigs‘ Stadt Meridian, zieht Horizon: Zero Dawn richtig an. Wir kommen aus dem Heiligen Land der Nora raus, lernen verschiedenste Charaktere kennen und bekommen ein doch überraschend facettenreiches Bild von Land und Leute gezeichnet. Und Schritt für Schritt nähern wir uns den Antworten auf die Fragezeichen, die diese Welt für uns bereithält. 25 – 30 Stunden können wir einplanen, wenn wir die 21 Hauptmissionen in „normalem Tempo“ angehen.

Doch ein Open World Abenteuer wäre ja keines, wenn es nicht links und rechts vom Weg viele Dinge zu entdecken gäbe, die unsere Aufmerksamkeit immer wieder von unserer eigentlichen Aufgabe ablenken. Und davon gibt es in Horizon: Zero Dawn so einiges. An dieser Stelle sei zum ersten, aber bestimmt nicht zum letzten Mal, die atemberaubende Optik des Spiels erwähnt! Der Titel sieht unglaublich aus und spielt seine Stärken bei jeder Witterung und jeder Vegetation voll aus. Selbst wenn es keine Nebenquests gäbe, wäre ich schwer motiviert durch die Landschaften zu laufen und mir die Welt nach und nach zu erschließen. Tatsächlich ist Horizon das erste Spiel seiner Art, bei der ich nie das Schnellreisefeature verwendet habe – und das heißt eine Menge bei mir. Ich durchquerte jedoch auch beim vierten oder fünften Mal gerne die orangefarbenen Canyons, die verschneiten Siedlungen, die heißen Dschungelareale oder Savannen mit kleinen Flüssen. Eine unglaubliche Leistung der Guerilla Games, die durch ihr bisheriges Lebenswerk (Killzone) bei mir nicht unter Verdacht standen, eine der besten Open Worlds dieser Konsolengeneration bauen zu können. Chapeau!

Diese kleinen Maschinchen haben einen besonders fiesen Trick auf Lager…

Titanen aus Titan…

So schön die Welt auch sein mag und wie belebt sie dank der anderen Menschen, Eber, Füchse, Hasen oder Waschbären auch wirken mag, die Stars von Horizon: Zero Dawn sind die Maschinen. Insgesamt 25 „Tierarten“ hat die Maschinenwelt zu bieten. Wächter etwa sind flink und haben ein gutes Auge. Wenn sie uns entdecken, warnen sie alle Maschinen im Umfeld. Läufer dagegen sind Herdentiere und lassen uns in Ruhe, wenn wir nicht gerade direkt vor ihrer Nase umherschawenzeln. Die säbelzahtigerartigen Sägezähne dagegen sind aggressiv und gefährlich. Wesentlich angenehmer sind die Langhälse. Sie staksen bedächtig wie Brachiosaurier durch die Fauna und sind das Äquivalent der Aussichtstürme aus Assassin’s Creed. Und wenn man einmal dem Tyrannosaurus Rex der Maschinenwelt – dem Donnerkiefer – gegenübergestanden hat, lernt man wirklich Ehrfurcht kennen.

Dann sind auch die Zeiten vorbei, in denen man mit stumpfer Speerschwingerei und blind abgefeuerten Pfeilen den Gegner zu Fall bringen konnte. Hier kommt unser Fokus ins Spiel. Er markiert die Schwachpunkte der Maschinen und welche Teile absprengbar sind. Im Falle unseres Donnerkiefers etwa können wir mit Sprengpfeilen eine seiner Kanonen absprengen, um sie anschließend gegen ihn selbst zu verwenden. Oder wir nutzen Seilwerfer, um ihn vorübergehend zu immobilisieren, nutzen Stolperfallen und locken ihn hinein oder nutzen unsere Schleuder, um ihn mit Eisbomben einzudecken. Das Waffenarsenal ist zwar nicht gigantisch, jedoch ist jede Waffe sinnvoll einsetzbar und ergeben eine tolle Bandbreite, die wir auch in Gänze nutzen können. Blocken im klassischen Sinne können wir nicht. Dafür beherrscht Aloy die Kunst der Ausweichrolle, was sehr gut funktioniert. Lediglich die Kamera ist für solche Manöver manchmal zu träge und zu dicht hinter uns, sodass wir Gegner hinter uns manchmal aus den Augen verlieren. Aber das ist Meckern auf höchsten Niveau.

Des Wächters Stärke ist auch seine Schwäche: Das große, allsehenende Auge

Ist der Gegner niedergeschmettert, können wir ihn selbstverständlich nach verwertbaren Teilen durchsuchen. Metallscherben, die uns auch als Währung dienen, Draht, die brennbare Lohe oder Maschinenkerne sind nur einige der Teile, die wir erbeuten können. Diese können wir entweder beim Händler verkaufen oder wir basteln uns daraus Munition, Fallen oder Upgrades für unsere Tragekapazität. Das Crafting funktioniert schnell und unkompliziert und wird niemals zu nervig. Munition beispielsweise kann völlig unkompliziert direkt im Schnellmenü zur Waffenauswahl gecraftet werden.

…Gehirne aus Altbrot

Wir können uns jedoch nicht nur beim Crafting sondern auch im Skilltree verwirklichen. Die drei Zweige Jäger, Sammler und Krieger stehen hier zur Verfügung. Für sie gilt ähnliches wie für die Waffen: Die Auswahl ist nicht gigantisch aber absolut ausreichend und jedes Element ergibt Sinn. Relativ schnell können die beiden Skills Stiller Schlag und Anlocken freigeschaltet werden, die in Kombination jedoch ein bisschen zu mächtig sind. Mit Anlocken können wir nacheinander Gegner um Gegner ins Hohe Gras locken und anschließend mit Stiller Schlag lautlos erledigen. Der KI fällt dabei nichts Merkwürdiges auf. Selbst herumliegende Leichen sind noch kein Anlass für Banditen den Alarm zu betätigen und wenn der Nebenmann mit einem Pfeil im Gesicht zusammenbricht, mag das ein Grund für sie sein, um ein wenig aufmerksamer zu sein – mehr jedoch nicht.

Eine andere, allerdings absolut erwünschte Methode mit dem Verstand des Gegners zu spielen, ist das Überbrücken feindlicher Maschinen. Auf diese Weise werden sie zu unseren Verbündeten und können in manchen Fällen als Reittiere oder als mächtige Streiter auf unserer Seite genutzt werden. Durch das Erkunden und Überbrücken von Brutstätten – kleinerer Dungeons – erwerben wir nach und nach das Wissen, um auch die größten Maschinen unter unsere Kontrolle zu bringen. Und gemeinsam mit einem Donnerkiefer durch die Steppe zu steppen.. da schlägt mein Dinosaurierherz höher.

Dank unseres Fokus können wir die Schwächen der Feinde sehen und gezielt angreifen

The Damsel in distress

Natürlich gibt es in der Welt massenhaft zu tun: Banditenlagen wollen ausgenommen, Langhälse bestiegen, Brutstätten erkundet, Orte der Verderbnis gereinigt und Jagdprüfungen abgelegt werden. Dazu kommen noch traditionell Nebenquests. Genretypisch erregen grüne Ausrufezeichen auf der Karte unsere Aufmerksamkeit weisen auf Menschen hin, die auf die ein oder andere Art und Weise in Not und hilfsbedürftig sind. Mal wurde das Erbstück der Familie gestohlen, der Bruder wird vermisst oder in einem Steinbruch geschehen merkwürdige Dinge.. In puncto Nebenquests bleibt Horizon: Zero Dawn durchschnittlich. Ein paar Aufgaben sind richtig gut, tragen zur Geschichte und Atmosphäre der Welt gut bei und machen Spaß, andere sind reine Erfahrungspunktelieferanten und werden kaum im Gedächtnis bleiben. Denn obwohl wir mit unserem Fokus Spuren lesen können wie Geralt mit seinen Hexersinnen, ist Horizon noch lange kein Witcher.

Aber auch hier wieder: Meckern auf höchstem Niveau. Nach den ersten Informationen zu Horizon: Zero Dawn hatte ich Angst, dass es auf ein Far Cry Primal 2 hinauslaufen würde. Diese Angst ist definitiv nicht bestätigt, denn auch wenn man mit dem Primus der Rollenspiele natürlich nicht auf Augenhöhe ist, lernen wir viele interessante Charaktere auf unserer Reise kennen. Die Dialoge sind, wenn man nicht unbedingt auf Deutsch spielen muss, durch die Bank gut und für können ähnlich wie in Mass Effect von den meisten NPCs eine ganze Menge Hintergrundinformationen erfragen. Sogar eine kleine Gesinnungsmechanik gibt es, die uns wählen lässt, ob wir in entscheidenden Situationen den Weg der Konfrontation, des Verstandes, oder der Empathie gehen wollen. Diese Entscheidungen haben teilweise sogar Auswirkungen über Leben und Tod anderer Charaktere und sollen sogar das Ende leicht beeinflussen – dies konnte ich jedoch noch nicht prüfen. Insgesamt fühlen sich die Entscheidungen, bis auf wenige Ausnahmen, nicht groß an, verleihen aber doch diese kleine Extraportion Rollenspielfeeling.

Ein wenig Eye-Candy zum Schluss

Apropos Extraportion. Ich kündigte ja weiter oben bereits an, dass wir noch einmal kurz über die Optik des Spiels werden sprechen müssen. Geschieht hiermit: Einfach geil. Es ist der Wahnsinn, wie weit Videospiele in den letzten Jahren gekommen sind. Ich habe der Neugierde wegen zum Vergleich nochmal das PS4-Remake von The Last of Us ins Laufwerk gedrückt, was ich auch als wunderschön abgespeichert hatte. Und es sieht im direkten Kontrast aus wie frisch auf der PS2 gebacken.

Die Animationen von Mensch und Maschine sind wunderbar gestaltet, die Grashalme im hohen Dickicht einzeln ausmodelliert und auch wenn die Farbstimmung auf Dauer nicht jedermanns Sache ist, finde ich Horizon: Zero Dawn traumhaft schön. Eine Welt so detailliert und prächtig designed, dass man alle 5 Minuten einen Screenshot machen und als Wallpaper ausdrucken möchte.

Fazit:

In Teeniefilmen gibt es häufig dieses traumhaft schöne Mädchen, das erst einmal nur mit dem Aussehen überzeugen kann. Dann lernt der Protagonist sie kennen, dass man mit ihr außerdem noch Pferde stehlen und unanständige Witze austauschen kann. Leider geht sie mit einem Anderen (der Protagonist hasst den Typen) und ist außer Reichweite.

So ähnlich müssen sich Xbox-Besitzer fühlen, wenn sie das PS4-exklusive Horizon: Zero Dawn betrachten. Ein Titel der Gefahr lief, ein reiner Grafikblender zu sein, überzeugt im Test voll und ganz. Ja, auch Horizon hat seine Schwächen. Manche Quests fühlen sich generisch an, die KI patzt ganz gerne mal, die Dialoge und Charaktere sind in anderen Rollenspielen stärker und das Kampfsytem von Nioh ist tiefer.

Aber in der Summe seiner Teile funktioniert Horizon: Zero Dawn wahnsinnig gut. Selten hat mich eine Open World mit seiner Geschichte und Atmosphäre so in den Bann ziehen können. Die Kämpfe sind aufregend und ermöglichen taktisches, dabei aber auch spektakuläres Vorgehen und die Gegner sind so cool designed, dass ich mich über jedes neue Maschinenwesen diebisch gefreut habe.

Unterm Strich ist H:ZD also riesig groß, gefüllt mit Abenteuern, technisch irrsinnig gut und mach einfach Spaß. Wer eine PS4 hat, der möge jetzt zuschlagen, oder in Reue leben!

 

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