„Spaßiger Anachronismus“ heißt es hier in der Überschrift zu WWE 2K17 und sie wirkt ein bisschen nichtssagend, wenn sie über einem Artikel thront, der ein Wrestling-Spiel behandelt. Wrestling an sich ist ja nichts anders als eine Art Gladiatorenkampf, der in die Zeit von Seifenopern und Social Media katapultiert wurde.

Spätestens seit dem Test WWE 2K16 und meinem Manifest  habe ich in der Redaktion meinen Ruf als Wrestling-Fanboy weg. Mit Recht, möchte man meine. Deswegen war ich auch derjenige, der sich jeden Tag ungeduldig auf den Posteingang in der Hoffnung stürzte, WWE 2K17 möge sich darin befinden. Der sehr gute Teaser Trailer, der für mich ein wenig BioShock Feeling versprühte, schürte die Vorfreude noch weiter. Jetzt ist das Spiel also da und lässt mich mit gemischten Gefühlen zurück.

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Ich weiß nicht, was du letzten Sommer getan hast

Die WWE zeigt traditionell zwei große Shows pro Woche im Fernsehen. RAW am Montag und Smackdown am Donnerstag (bzw. Dienstag). In den letzten Jahren gab es kaum einen Unterschied zwischen den beiden Shows, außer dass Smackdown kaum jemand geguckt hatte, weil dort kaum storyline-relevante Dinge passierten. Die Einschaltquoten schwächelten und selbst das Flaggschiff RAW geriet etwas in Schieflage.

Wir schreiben den 19.07.2016. Die WWE unternimmt einen großen Schnitt und teilt seine Kämpfer in zwei Lager auf. Nun ist die Hälfte des Rosters ausschließlich bei RAW zu sehen, während die andere Hälfte bei Smackdown Live seine Brötchen verdient. Jede Show hat nun seine eigenen Superstars, eigene General Manager, ein jeweils etwas anderes Konzept und eigene Geschichten, die erzählt werden.

„Wozu die Geschichtsstunde, Opa?“, könnte man mich nun fragen. Die Antwort: Weil WWE 2K17 diese ziemlich große und wichtige Entwicklung nicht im Spiel implementiert hat! Stellt euch mal vor in der Sommerpause der Bundesliga kommt es zur Revolution und Karl-Heinz Rummenigge vereint die finanzstarken Clubs, während Mehmet Scholl eine eigene Liga gründet und dort nur Teams aufnimmt, die Schönspielerei betreiben und allgemein ziemlich heiß sind. Nun käme FIFA daher und bietet euch eine normale Bundesliga Saison mit dem üblichen 18 Teilnehmern an – irgendwie flau, oder?

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Brock Lesnar – das beste Pferd im Stalle RAW

Universe-Modus als neuer Primus

Dabei würde ich von WWE 2K17 ja gar nicht erwarten eine eigene Storyline um den Rostersplit zu bauen. Aber es wäre doch nett gewesen, nicht nur die Roster zu trennen, sondern auch die neuen Arenen anno Juli 2016 zu implementieren und die neuen Titel, die in diesem Zuge von der WWE eingeführt wurden.

Das dieser Schritt nicht vollzogen wurde ist für mich absolut unverständlich, da es so einfach gewesen wäre. Dies beweist die, zum Glück ziemlich großartige Community, die diese Versäumnisse ziemlich schnell quasi aus eigener Tasche behoben haben. Dabei hilft die Tatsache, dass der Editor seit 2K16 wieder angezogen hat und mehr Optionen bei der Erschaffung von Kämpfern, Titeln, Shows und erstmals sogar Titantron-Intros bietet.

Am puren Umfang des Rosters gibt es ohnehin nichts zu meckern. Über 120 männliche und weibliche Superstars – der Begriff „Diva“ wurde ja Gott sei Dank über Bord geworfen – sind insgesamt spielbar. Manche stehen von Anfang an bereit, andere wollen erst freigeschaltet werden. Das tun wir, indem wir Virtual Credit Points ausgeben, die wir wiederum durch ausgezeichnete Matches erspielen. Jeder Kampf wird mit bis zu 5 Sternen bewertet und je abwechslungsreicher und spektakulärer wir das Match gestalten, desto mehr VC gibt es.

Um das Beste aus dem Editor und dem großen Roster rauszuholen empfiehlt sich der Universe-Modus. Hier können wir den Rostersplit quasi von Hand selbst nachholen indem wir jede wöchentliche Show eigenständig planen. Wir legen wir Rivalitäten zwischen Wrestlern  und Stipulations für Matches fest und leiten so die Geschicke der WWE von einem Pay-per-View zum nächsten. Falls wir es wünschen, können wir aber auch den Computer alle Entscheidungen treffen lassen, und uns so von den jährlichen Undertaker-Matches und plötzlichen Zerwürfnissen zwischen Tag Teams überraschen lassen.

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Bubba Ray: In unserem Universe gefürchteter Singles-Wrestler

Der Weg an die Spitze ist lang

Falls wir uns lieber einen eigenen Pfad durch die WWE bahnen wollen, ist der Karrieremodus von WWE 2K17 wie immer eine gute Alternative. Hier erstellen wir uns selbst einen Wrestler, den wir von den Tryouts bei NXT (Der „Zweiten Liga“ der WWE) bis in die Hall-of-Fame führen können. Der Karrieremodus ist im Kern der Gleiche wie bei 2K16: Im Laufe der Karriere legen wir uns mit Jedem an, der Rang und Namen hat und definieren eigenständig, ob wir nun der Böse (Heel) oder der Gute (Face) sein wollen.

Wichtig für diese Entscheidung ist ein neues Feature von WWE 2K17: Promos! Ein elementarer Bestandteil des Wrestlings ist nämlich nicht nur, jemandem auf die Omme zu hauen, sondern diesem auch mitzuteilen, warum man ihm jetzt auf die Omme haut (Spoiler: Meist weil man ihn doof findet). Die Idee hinter diesem Feature ist großartig: Der Wrestler kommt in den Ring und der Spieler kann zwischen vier Textbausteinen wählen. Diese reiht er nach und nach aneinander, bis die komplette „Rede“ fertig ist. Je nachdem, wie gut wir uns entscheiden und wie das Publikum drauf ist, ziehen wir Reaktionen unterschiedlicher Intensität. Wenn wir uns ständig selbst widersprechen, kommen wir beispielsweise schlecht an und sind schlicht langweilig. Sind wir kongruent und treffen das Interesse der Crowd, liebt man oder hasst man uns.

Die Promos tragen zu Beginn gut zur Atmosphäre bei, verlieren jedoch sehr schnell ihren Drive. Die Textbausteine wiederholen sich zu schnell und leider wird komplett auf eine Sprachausgabe verzichtet, wodurch das Feature sich rasant abnutzt. Hier erhoffen wir uns zu WWE 2K18 einen Sprung, denn die generelle Marschrichtung ist schon mal super und bereichern auch den bereits abgehandelten Universe-Modus.

Apropos Abnutzungserscheinungen. Diese sind leider auch in der Karriere im Allgemeinen zu verspüren. Gestaltet sich der Aufstieg in NXT noch durchaus spaßig, hat die Karriere im Mittelteil unfassbare Längen. In Schildkrötentempo ackern wir uns die Karriereleiter nach oben, selbst wenn wir Brock Lesnar, seines Zeichens dafür bekannt mit Weißen Haien zu ringen, in einem Iron Man Match die Radieschen von unten zeigen. Und wo wir gerade bei Lesnar sind: Erstmals können wir in der Karriere auch zum Paul Heyman Guy werden. Diese Storyline ist jedoch im Wesentlichen auch nur ein Aufguss des Authority-Erzählstrangs aus 2K16.

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Showcase-Modus…WEG!

Normalerweise würde ich an dieser Stelle des Reviews zum Showcase-Modus kommen – meinem Lieblings-Zeitvertreib. Hier konnte man legendäre Storylines und Matches der Vergangenheit nachspielen, welche mit Originalausschnitten aus den jeweiligen Shows und authentischer Sprachausgabe angereichert wurden. Kurz: Hier konnte man selbst unbedarften Wrestling-Novizen eine Idee davon geben, warum Wrestling spaßig und WWE 2K eine Faszination sein kann.

Dieser Modus wurde nun gestrichen. Einfach weg. Und wer mir jetzt mit dem „Hall of Fame Showcase-DLC“ kommt, der hat Videospiele nie geliebt. Die WWE-2K-Serie geht damit einen Weg, den die meisten anderen Sportspiele in der Vergangenheit beschritten und löschen sehr beliebte Spielmodi – vermutlich um sie in der Zukunft unter großen Trara wieder einzuführen oder eben für 10 Euro extra hinterherzuschieben.

Licht und Schatten im Ring von WWE 2K17

Während der Matches selbst zeigt sich WWE 2K17 an manchen Stellen durchaus verbessert. In Ladder Matches wurde beispielsweise ein neues Minispiel eingeführt, das nun mehr Transparenz zulässt wann ein Kämpfer kurz davor ist, den Preis über dem Ring zu ergattern. Allgemein sind Matches mit mehr als zwei Superstars gleichzeitig im Ring nun spaßiger. Zum einen wurde die Zielerfassung endlich verbessert, sodass nun ganz einfach auf Knopfdruck zwischen Zielen hin- und her geschaltet werden kann. Zum anderen wurde ein System implementiert das dafür sorgt dass Akteure, die von einem harten Move getroffen wurden, sich automatisch aus dem Ring rollen, sodass nur noch 2 Kontrahenten im Seilgeviert verbleiben. Dadurch ziehen sich Fatal Fourways etwa nicht mehr solange hin und fühlen sich spannender und realistischer an: Der Superstar außerhalb muss sich nun erst einmal eine kleine Zeit  lang erholen bevor er wieder ins Match eingreifen kann.

Ebenfalls auf Gegenliebe stößt die Überarbeitung der Taunts. War es in den Vorgängern noch möglich seinen Finisher aufzuladen, indem man sich aus dem Kampf schön raushält und einfach in der Gegend herumhampelt, führen die Taunts nun dazu, dass man entweder mehr Schaden beim Gegner macht oder sich die Special Moves schneller aufladen – top!

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Daniel Bryan auf dem Weg zu seiner nächster Gehirnerschütterung

Keine Überarbeitung erfuhr dagegen das Kontersystem. Wenn man selbst auf dem Boden liegt, ist das Zeitfenster für Gegenschläge manchmal verschwindend klein, was dazu führen kann, dass man frustrierend lange Zeit auf dem Rücken verbringt. Größer fällt das Zeitfenster dagegen im Stehen aus – leider bleibt jedoch auch hier das System unzuverlässig. Mitunter drückt man den Knopf erst nachdem der Cue dafür angezeigt wurde und wird dennoch mit einem „too early“ abgestraft. Insgesamt ist der Fluss in den Matches jedoch besser geworden, sodass sich kompatible Moves nun auch zu schönen Kombos verknüpfen lassen. Die neuen Animationen sorgen dafür, dass sich das Geschehen im Ring – wenn auch nur in Nuancen – realistischer anfühlt als bei den Vorgängern. Dabei hilft auch die verbesserte Kamera, die nun nicht mehr starr bleibt sondern den Kämpfern folgt und bei Bedarf sogar in einen sehr guten Splitscreen-Modus wechselt.

Auch außerhalb des Rings werden nun Schellen verteilt. Erstmal können wir nun auch Backstage oder im Publikum brawlen. Die Keilereien backstage sind gut umgesetzt und weisen Hotspots auf, bei denen besondere Animationen ausgeführt werden. Sogar Moderatorin Renee Young kann bei ihren Ausführungen von den beiden Streithähnen unterbrochen werden. Etwas anders stellen sich die Prügeleien im Publikum da. Diese fühlen sich abgehackt und eingeschränkt an und lassen die Intensität der „realen“ Vorbilder vermissen.

Technischer Stillstand

Wo wir doch gerade bei realen Vorbildern sind. Im Zuge des Rostersplits kamen natürlich auch neue Kommentatoren ins Boot. Statt die Riege jedoch mit Byron Saxton, David Otunga und Mauro Ranallo zu komplettieren, blieb man bei dem gewohnten Trio Michael Cole, JBL und Larry „The King“ Lawler. Das ist zwar ärgerlich, ist jedoch zu verschmerzen. 6 Kommentatoren in wechselnden Besetzungen sind zu viel verlangt. Das sehe ich ein.

Aber: Die Kommentatoren in WWE 2K17 sind die schlechtesten, die ich seit langem gehört habe. Sie haben teils krasse Aussetzer, bei denen gar nichts mehr zusammenpasst oder kommentieren absoluten Stuss. Und viel zu oft sagt Michael Cole bei einem einfachen Punch etwas wie „We haven’t seen this move before!“. 2K16 war da tatsächlich besser.

Die Engine von WWE 2K17 sehnt sich danach endlich exklusiv für die CurrentGen zu kommen. Man sieht tatsächlich kaum einen Unterschied zum Vorgänger und es gibt immer noch die gleichen Fehler in der Kollisionsabfrage. Und immer noch kommt die PS4 teilweise ins Stocken wenn viel auf dem Schirm los ist. Weibliche Superstars kommen teilweise die Rampe heruntergeschlendert als hätten sie nur ein vages Konzept vom Gehen.

Deutlich besser dagegen sind die Gesichter geglückt. Die sehen gerade bei den Damen sehr viel besser aus als bei 2K16 – mit Ausnahme von Dana Brooke. Die sieht aus wie Chuckys Braut. Der Rest der #womensrevolution ist jedoch recht gut eingefangen worden. Das zeigt uns doch: Es geht voran mit der Reihe. Zwar langsam und manchmal mit frustrierenden Umwegen, aber es voran.

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Dana wird mit ihrem Alter Ego im Vergleich zu Eva Marie nicht zufrieden sein…

Fazit:

WWE 2K17 ist in mancher Hinsicht wie der Partner, der gerade einen beschi**enen Job gefunden hat und deswegen nach Feierabend unausstehlich ist. Man liebt ihn immer noch; hofft aber auch sehnlichst, dass allmählich der nächste Abschnitt beginnen möge.

Ich spiele WWE 2K17 nach wie vor gerne. Die Kämpfe machen – vor allem im lokalen Multiplayer – einen Haufen Spaß, werden kaum langweilig und fühlen sich einfach gut an. Auch die Präsentation hat vor allem im Universe-Modus einen Sprung nach vorne gemacht und erinnert schon sehr an das WWE-Produkt aus dem Fernsehen. Man kann immer noch ohne Langeweile zu verspüren zwei Dutzend Spielstunden versenken und weiß nicht, wohin die Zeit entfeucht ist. Außerdem ist die Reihe von 2K alternativlos – und da liegt der Hase im Pfeffer.

Bevor Pro Evolution Soccer im Westen populär wurde, befand sich auch FIFA in einem kleinen Arcade-Sumpf und trumpfte nur mit Lizenzen auf. Erst durch den Wettbewerb zog man sich am eigenen Schopfe aus dem Modder und konnte auch vom Gameplay her mit Konamis Produkt konkurrieren. Ähnliches wünschte ich mir auch fürs Wrestling.

Fans des Sports-Entertainments können auch bei 2K17 zugreifen, denn mit dem aktuellen Roster zu spielen ist bei FIFA mit den aktuellen Kadern zu spielen – irgendwie brauch man es, selbst wenn sich das Gameplay nicht großartig weiterentwickelt hat.

Aber Faktoren wie der technische Stillstand, der gestrichene Showcase-Modus und der nicht implementierte Rostersplit lassen den Eindruck erwecken, dass sich die Entwickler bequem auf der WWE-Lizenz ausruhen können, weil ihnen die Konkurrenz kein Feuer unter dem Allerwertesten macht.

Also: WWE 2K17 – gutes Spiel! Aber das war der Vorgänger auch schon. Kämpft gefälligst um mich! Ich will doch eigentlich auch!

[pricemesh]

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