Willkommen zu Adr1ft

Man kennt das. Nachdem man sich in der vergangenen Nacht ein wenig zu sehr im Mondschein vergnügt hat, wacht man mit einem riesigen Schädel auf und alles dreht sich um einen. Während unsereins in diesen Fällen jedoch ein Bein aus dem Bett auf den Boden stellen und sicher sein kann, dass die Übelkeit erregende Dreherei schon aufhören wird, ist Protagonistin Alex Oshima in prekärer Situation. Denn bei ihr ist nicht nur der Film, sondern auch die Hülle ihrer Raumstation gerissen. Mit beschädigtem Raumanzug und von den Trümmern des einst schützenden Raumhafens umgeben, muss sie nun irgendwie einen Weg zur Planetenoberfläche finden – Willkommen zu Adr1ft!

Hübsch, aber ohne „Wow!“

Auf dem PC bietet Adr1ft einen Oculus Rift und HTC Vive Support, der der PS4-Version abgeht. Stand jetzt ist auch keine Kompatibilität mit PSVR geplant – kann Adr1ft auf der Konsole also überhaupt mithalten?

Die Antwort ist kurz gefasst: „Nein, aber…“. In 500 Kilometern Höhe in der Virtuellen Realität auf den blauen Erdball hinunter (oder hinauf?) zu sehen ist auf dem PC der Faktor, welcher die eigene Kinnlade den Gesetzen der Schwerkraft zuführt und sie auf den Boden krachen lässt. Ohne dieses Gimmick ist Adr1ft optisch immer noch beeindruckend. Schließlich ist auch „Gravity“ auf Blu-ray auch ein schicker Film. Im Kino und 3D spielte der Film jedoch noch eine Liga höher und ähnlich verhält es sich mit der Optik von Adr1ft.

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Weltraumspaziergang – optisch hat Adr1ft etwas zu bieten!

Die Neigung zur Kurzatmigkeit

Naturgemäß hat Alex weder Zeit noch Muße sich in Ruhe die Überreste der Raumstation genauer anzuschauen. Denn ohne funktionierende Lebenserhaltung steht es schlecht um ihre Sauerstoffversorgung. Bevor wir unseren Raumanzug notdürftig geflickt haben, entweicht das kostbare Gas  kontinuierlich und wir hangeln uns von einer schwebenden Sauerstoffflasche zur nächsten, um weiter atmen zu können. Doch auch nach gelungener Reparatur bleibt O2 ein kostbares Gut. Denn die Navigationsdüsen am Raumanzug benutzen ihn als Treibstoff, sodass jede unserer Bewegungen ein Schritt in Richtung Atemnot bedeutet. Wer die ganze Zeit Vollgas gibt und sich abgesehen von kleinen Korrekturen nicht „treiben lassen“ kann, dem geht schneller die Luft aus als den deutschen Schwimmern bei Olympia.

Die Suche nach Räumen mit Atemluft und intakten Gasflaschen ist das eine große Survival-Element in Adr1ft. Leider entpuppt es sich nach kurzer Zeit bereits als enervierend. Wenn wir sauerstofftechnisch auf Kante genäht sind, beginnt ein nerviger Alarmton uns ununterbrochen an unser bevorstehendes Ende zu erinnern. Nicht ganz so schlimm wie Baby Mario in Yoshi’s Island, aber dennoch strapaziös. Zudem nimmt das Spiel uns die Freiheit, uns in Ruhe umsehen zu können. Denn eigentlich hätte das Setting ein entspannendes Gameplay prädestiniert:

Umherschweben ohne Schwerkraft, keine bekämpfbaren Gegner und eine schöne Aussicht sind nur halb so schön, wenn man sich ständig getrieben fühlen muss. Man möchte Alex zudem dafür ohrfeigen, dass sie nicht eine Notfallflasche aufnimmt und mit sich führt. Die Suche nach der  immer nächsten Flasche ist ein klassisches Videospielelement und nicht verwerflich. Aber es setzt den Protagonisten auch auf Schienen und gibt das Tempo vor – das hätten wir uns in Adr1ft in seiner optischen Weite anders gewünscht.

Stolpern in der Schwerelosigkeit

Die Steuerung wurde gut auf den Controller der PS4 übertragen. Ein Tutorial zu Beginn macht uns mit den Grundlagen der Navigation in einem Raumanzug vertraut und nach kurzer Eingewöhnung schweben wir überwiegend sicher durch die Gänge. Ab und an ditschen wir dennoch an Wände oder Hindernisse, sodass unser Helm einen kleinen Sprung bekommt. Theoretisch ist es möglich, auch auf diese Art und Weise sein Leben auszuhauchen – dafür müsst ihr allerdings fliegen wie die Axt im Walde.

Eine viel größere Frustquelle ist das Finden des richtigen Weges, denn euer Kompass zeigt zwar die Richtung an, in die ihr zu schweben habt, in späteren Abschnitten des Spiels gibt es dahin jedoch mehrere Wege, zum Teil auch Sackgassen. In Verbindung mit dem insgesamt störenden „Zeitlimit“, das der Sauerstoffvorrat vorgibt und dem charmanten Alarmsound, knirscht man schon mit den Zähnen.

Fair dagegen sind die zahlreichen, gut platzierten Rücksetzpunkte, die einen teilweise sogar hinter einem Schott wiederbeleben, wenn man bei dem Versuch es zu öffnen erstickt sein sollte. Leider sind die Ladezeiten auf der Konsole in diesen Fällen überdurchschnittlich lang.

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Da geht unser Sauerstoff dahin…

Und sonst so?

Apropos überdurchschnittlich lang. Neulich am Urinal eines Nachtclubs wurde ich darauf angesprochen, dass … Adr1ft ziemlich kurz ist. Da nickte ich wissend. Mit ungefähr 4 Stunden Netto-Spielzeit ist der Weltraumspaziergang beileibe kein Marathon.

Jedoch geht das auch in Ordnung so, da der Titel auch nicht genügend Substanz mitbringt, um acht oder zehn Stunden zu unterhalten. Fordernde Rätsel gibt es nicht, und außer zielstrebigem Schweben und hier und da Konsolen bedienen und Türen öffnen, haben wir wenig zu tun. Ein Highlight des Spiels geschieht, wenn man den Datenspeicher eines verstorbenen Kollegen aufliest ein Klavierkonzert abgespielt wird. Klassik und Weltraum gehören einfach zusammen. Doch von diesen magischen Momenten gibt es viel zu wenige, obwohl das Setting und die Optik Potential gehabt hätten.

Die anfänglich aufgebaute Atmosphäre konnte für mich nicht aufrechterhalten werden. Die dünne Geschichte und die überwiegend stumme Protagonistin den Mangel an spaßigen Gameplayelementen nicht auffangen.

Fazit:

Adr1ft entpuppt sich auf der PS 4 als reines Gimmick-Spiel, dem das Gimmick entrissen wurde. Die Reise im Weltraum wurde als VR-Erfahrung konzeptioniert und funktioniert als solche auch sehr gut. Mit einer VR-Brille auf dem Kopf ist der Titel absolut zu empfehlen. Hier entfaltet sich die Atmosphäre des leeren Raums perfekt und die Optik und das „Mittendrin“-Gefühl können über die Schwächen von Adr1ft hinwegtäuschen.

Diese werden auf der PlayStation 4 dann überdeutlich. Es ist einfach zu wenig Spiel in diesem Videospiel enthalten. Und die genutzten Gameplayelemente funktionieren nicht gut. Der „Survival“-Aspekt der Sauerstoffknappheit ist nur anstrengend und nicht spannend und lässt keinen schönen Spielfluss aufkommen. Für ein Titel in dem die Protagonisten in der Navigation alle drei räumlichen Dimensionen vollends ausnutzt, präsentiert sich Adr1ft auffallend eindimensional.

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